Unterlegene in Unterzahl

Nach der 1:2-Niederlage des Hamburger SV gegen den FC Arsenal London kommen Zweifel auf, ob der Bundesligist reif ist für die Champions League. Vor allem die Verteidigung, in der Vorsaison ein Muster an Stabilität, zeigt Schwächen

Warum darf eingegnerischer Stürmerso unbedrängt vor dem Hamburger Tor herumstehen?

AUS HAMBURGANDREAS RÜTTENAUER

Sie hatten viel zu laufen an diesem Abend in Hamburg. Die Spieler des HSV, achtzig Minuten lang waren es nur zehn, mussten sich bei ihrem Champions-League-Auftritt gegen den FC Arsenal aus London bis an die Schmerzgrenze verausgaben. Meistens kamen sie mit. Nur selten rannten sie ins Leere. Und dennoch hechelten sie immer hinterher, mussten aufholen und waren nur selten in der Lage, ihre Gegner zu überholen. Sie konnten nach dem Platzverweis für Sascha Kirchstein in der 10. Minute und dem Elfmetertor von Gilberto Silva beinahe nur noch reagieren. Das Heft des Handelns hatte der FC Arsenal fest im Griff. 1:2 haben die Hamburger verloren. Sie waren am Ende der Meinung, sich wacker geschlagen zu haben. Der kleine HSV hat einer „Weltklassemannschaft“ (HSV-Trainer Thomas Doll) Paroli geboten. Die Spieler und ihr Trainer fanden das nach dem Spiel ganz toll.

Natürlich ist Thomas Doll klar, dass er nach dem ersten Spiel des von ihm kreierten, neuen HSV in der europäischen Eliteliga nicht viel klüger ist als wie zuvor. Seine Mannschaft hat in Unterzahl hart gearbeitet. Zurecht lobte Doll und auch der Trainer der Gäste, Arsène Wenger, die Fitness der Hamburger. Physisch kann der HSV also mithalten in der Champions League. Ob er auch spielerisch in der Lage ist, auf einem Niveau mit den besten Europas zu agieren, lässt sich nach einem Unterzahlkampf wie jenem vom Mittwoch jedoch nur schwer sagen. Und so klammerte sich Doll nach der Begegnung an die Ereignisse der ersten zehn Minuten. Sein Team sei gut in die Begegnung gekommen, habe die Zuschauer sofort hinter sich gebracht und das Spiel dominiert. Dann sei der Schiedsrichter gekommen, Herr Peter Fröjdfeldt aus Schweden, und habe das Spiel der Hamburger „kaputt gemacht“.

Die Diskussionen, ob der Strafstoß berechtigt war oder nicht, ob Sascha Kirschstein Robin van Persie wirklich berührt hat, nachdem ihn der Stürmer ausgespielt hatte, nervten ebenso schnell wie die Beteuerung beinahe aller am Spiel Beteiligter, dass die Rote Karte für den Keeper nicht hätte sein müssen. Niemand ging auf die Situation ein, die dem vermeintlichen Foul des Torwarts vorausgegangen war. Da nämlich konnte sich Arsenal-Angreifer Emmanuel Adebayor unweit des Strafraums mit dem Ball am Fuß in aller Ruhe nach einem freien Mitspieler umsehen. Er fand ihn in van Persie, der mutterseelenallein vor dem Torwart stand. Warum nur durfte der eine Londoner so unbehelligt flanken? Und warum darf ein gegnerischer Stürmer so unbedrängt vor dem Tor herumstehen? Es war die Szene, die am besten veranschaulicht, dass es noch viel zu tun gibt beim HSV. Wohlgemerkt: Sie spielte sich vor dem folgenschweren Elfmeterpfiff ab.

Guy Demel war auf der linken Abwehrseite derart verunsichert, dass er wohl beschlossen hat, in der ersten halben Stunde erst einmal in gar keinen Zweikampf zu gehen. Als nach der Pause seine anfängliche Verunsicherung zurückkehrte, wich er höflich zurück, um Tomas Rosicky freie Schussbahn zur 2:0-Führung (53. Minute) zu lassen. Er war der unfreiwillige Vorbereiter beider Arsenal-Tore. Bald könnte der jetzt schon wie ein Heiland herbeigesehnte argentinische Starspieler Juan Pablo Sorin, der verletzungsbedingt fehlte, sein erstes Spiel hinten links bestreiten. Er wird vieles besser machen müssen als Demel. Auf der anderen Abwehrseite wirkte Joris Mathijsen auch fehl am Platz. Der Niederländer, der verpflichtet worden war, um dem Abwehrzentrum mehr Stabilität zu geben, stand rechts außen sehr oft falsch und bewegte sehr oft zu spät. Nur gut, dass die zentralen Verteidiger Bastian Reinhardt und Vincent Kompany es immer wieder schafften, die Fehler ihrer Kollegen auf den Außenpositionen auszubügeln, indem sie sich den Schnellangriffen der Londoner regelrecht entgegen warfen.

Arsenals Trainer Arsène Wenger hatte sicher Spaß am Spiel seiner Mannschaft, der es immer wieder gelang, ihr beeindruckend schnelles Passspiel aufzuziehen. Er präsentierte sich nach dem überlegenen Auftritt seines wieder einmal spielfreudigen Teams als höflicher Gast. Er könne sich vorstellen, so sagte er, dass die Hamburger beim Spiel in London ein unangenehmer Gegner sein werden. Wegen ihrer gefährlichen Konter und ihrer Stärke bei Freistößen und Eckbällen. Viele in der Hansestadt verstanden das als Lob für den HSV und blendeten aus, was Wengers Äußerung auch meinte: Spielerisch sind die Hamburger kein ernst zu nehmender Gegner für den FC Arsenal. Der späte Anschlusstreffer von Boubacar Sonogo (91.) kann an dieser Erkenntnis nicht viel ändern. Und wenn sie in der Abwehr weiterhin derart schlampig agieren, dann werden sie wohl so schnell nicht hinauskommen über den Staus eines Kleinen in Europa – auch wenn sie noch so wacker kämpfen und rennen.

Hamburger SV: Kirschstein - Demel (53. Mahdavikia), Reinhardt, Kompany, Mathijsen - de Jong - Jarolim, Wicky (12. Wächter) - Trochowski - Sanogo, Ljuboja (82. Guerrero)FC Arsenal London: Lehmann - Eboué, Touré (29. Hoyte), Djourou, Gallas - Hleb (69. Flamini), Fabregas, Gilberto Silva, Rosicky - van Persie (70. Baptista), AdebayorZuschauer: 51.040Tore: 0:1 Gilberto Silva (12./Foulelfmeter), 0:2 Rosicky (53.), 1:2 Sanogo (90.+1)